Der Erfolg einer Veränderung ist immer nur so stabil, wie er tatsächlich verankert wurde. Veränderungen sind erst dann im Unternehmen richtig verankert, wenn sie zu etwas ganz Selbstverständlichem geworden, dem Unternehmensorganismus sozusagen ins Blut gegangen sind. Solange sich neue Verhaltensweisen nicht von sozialen Normen und gemeinsamen Wertvorstellungen abgesichert finden, sind sie bei nachlassendem Veränderungsdruck der Gefahr ausgesetzt, verfälscht oder verächtlich gemacht zu werden. Hier ein paar Fragen, welche es zu stellen gilt, wenn der Sprung von der Wertestufe Ordnung auf die Wertestufe Leistung auf Verankerung hin überprüft werden soll:
- Wird in Besprechungen auch ohne die ursprünglichen Repräsentanten der Unternehmensentwicklung konsequent im Sinne des Kundennutzens argumentiert und entschieden?
- Welcher „Geist“ tritt zu Tage, wenn abends nach zwei, drei Bieren an der Theke gestanden wird? – Der Geist, welcher Verantwortung bei anderen sucht und auf Regelorientierung basiert oder jener Geist, der sich am Kundennutzen orientiert und Selbstverantwortung annimmt?
- Werden ordnungspolitische Modelle selbstverständlich verstanden und leistungsorientierte Modelle ebenso?
- Werden aufgrund von Eigeninitiative Regeln auf Kundennutzen hin hinterfragt und optimiert oder wird nur aufgrund von Anweisung darüber nachgedacht?
Die Verankerung der Veränderung auf dem erzielten Niveau ist der Fokus dieser Phase des Entwicklungsprozesses. Wenn dies gelungen ist, wird der Sprung auf die nächste Wertestufe von einer tragfähigen Basis aus stattfinden können: Wenn Strukturen und Prozesse (Wertestufe Ordnung) immer wieder unterlaufen werden durch Machthaber (Wertestufe Macht), braucht man sich nicht aufmachen, Leanmanagement (Wertestufe Leistung) einzuführen. Die Entwicklungsbemühungen werden niemals nachhaltig sein. Statt den Sieg zu verkünden (siehe Erfolgsfaktor 7) gilt es vielmehr, die neue Welt auf dem erreichten Niveau zu stabilisieren und damit eine solide Grundlage zu schaffen, von der aus der nächste Komplexitätssprung, Wachstumssprung, d.h. Wertesprung gelingen kann.
Führung als Modell
In vielen Fällen behindern die über Jahrzehnte gewachsenen Werte eine nachhaltige Stabilisierung auf der neuen Wertestufe. Das ist keine Kritik an den Beschäftigten oder den Führungskräften, sondern Ergebnis der Funktionsweise des Unternehmens. Werte werden jedoch maßgeblich durch Führungskräfte gestaltet. Sie sind verantwortlich für die Wahrnehmungs-, Anreiz- und Belohnungsmechanismen, sie prägen Normen, Zeichen und Symbole. Sie sozialisieren neue Mitarbeiter [**], „machen“ sie passend zu der aktuell gelebten Wertestufe oder sorgen dafür, dass bei Nichtpassung keine Belohnung, keine Beförderung erfolgt, d.h. dass sich durch den neuen Mitarbeiter keine Wirkung im Unternehmen entfalten kann.
So können noch so viele Führungsprinzipien dem neuen Mitarbeiter von der Personalentwicklung vorgestellt werden, noch so viele Handbücher übergeben werden, in denen die neue Wertestufe niedergeschrieben ist, wenn der neue Mitarbeiter einmal bei einer Besprechung mit Führungskräften eine nicht passende (vielleicht zu leistungsorientierte) Bemerkung macht und alle Beteiligten ihn daraufhin irritiert bis erschrocken anschauen, dann wird der neue Mitarbeiter durch diesen Vorfall geprägt und nicht durch den Stapel an Papier, in dem die neue Wertestufe beschrieben ist.
Vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit und Wirksamkeit eines Entwicklungsprozesses unterstreicht Schein (1985) die Notwendigkeit, dass – wie er sie nennt – primäre und sekundäre Mechanismen sich einander ergänzen müssen. Primäre Mechanismen sind die unabdingbar wichtigen Mechanismen. Primäre Mechanismen sind:
- Systematische Auswahl und Betonung der Vorgänge, denen die Führung ihre besondere Aufmerksamkeit zuwendet,
- Art der Reaktion bei kritischen Ereignissen und in Krisensituationen,
- Gestaltung des Anreiz-, Beförderungs- und Statussystems sowie
- Prinzipien bei der Auswahl neuer Mitarbeiter.
Sekundäre Mechanismen zur Stabilisierung kultureller Werte sind im Wesentlichen formalisierte Regelungen. Zu den sekundären Mechanismen sind vor allem zu zählen:
- Die Organisationsstruktur;
- Das Berichtswesen sowie das System festgelegter Richtlinien und Regelungen sowie Satzungen und Führungsgrundsätze;
- Niedergeschriebene Rollen, Aufgaben, Abläufe;
- Neu definierte Vision.
Die sekundären Mechanismen wirken nur dann, wenn sie in Einklang stehen mit den primären Mechanismen: „… unmittelbar prägende Werte manifestieren sich in erster Linie in dem, was die Führung vorlebt und demonstriert, nicht in dem, was schriftlich festgehalten oder durch die Gestaltung von Systemen und Regelungen angestrebt wird (Schein, 1985).“
Meta-Steuerung als Top-Managementaufgabe
Werte sind nur dann nachhaltig verankert, wenn dauerhaft wirksame Lernprozesse in Gang gesetzt werden können. Das ist mit einem Vorgehen, das Stabilisieren der Werte direkt anstrebt, nicht zu realisieren: Werte können durch laminierte Leitsätze an den Wänden eines Unternehmens nicht stabilisiert werden. Werte sind direkt nicht stabilisierbar. Werte müssen immer und immer wieder ausgehandelt werden: Es muss auf einer Meta-Ebene beobachtet, gedacht, gearbeitet und wieder beobachtet werden. Es müssen Prozesse in Gang gesetzt werden, welche jegliche Struktur, jeglichen Prozess, jegliche Besprechung, d.h. jegliche Manifestationen in geschriebener oder kommunikativer Form im Unternehmenskontext dahingehend hinterfragt, welche Werte eben durch diese Manifestation manifest werden. Mit diesem Verständnis gilt es, die primären und sekundären Mechanismen hinsichtlich ihrer Passung zu der zu stabilisierenden Unternehmensentwicklung zu hinterfragen.
Soll das Unternehmen z.B. auf der Wertestufe Leistung stabilisiert werden, muss das Management Prozesse in Gang setzen, welche dazu führen, dass nach und nach das gesamte Unternehmen seine Aufmerksamkeit auf wertschöpfungsrelevante Themen lenkt und diese Themen aktiv im Sinne des Kunden angeht.
Dazu gehören u.a.:
- Regelmäßige Kundenbefragungen;
- Erfolgskriterien für jedes System (wie Besprechungen, Projekte, Prozesse etc.) definieren und controllen, was erlaubt, die Entwicklung des Wertesystems zu verfolgen. Es sollte Teil des „normalen“ Controllings sein;
- Veröffentlichung der erfolgskritischen Kennzahlen intern, um Diskussionen und Weiterentwicklungen anzustoßen;
- Kompromissloses Streben nach Transparenz – gerade auch bzgl. weicher Kriterien.
Die dadurch entstehende Transparenz muss genutzt werden, um Blindleistungen zu minimieren, wobei im Bewusstsein sein muss, dass Schuldzuweisung Blindleistung ist: Kein Kunde ist gewillt einen Cent dafür zu bezahlen, dass Manager, Mitarbeiter, Abteilungen etc. Schuldige suchen. Kunden erwarten, dass bei Unzulänglichkeiten konsequent nach Lösungen gesucht wird und zwar im Sinne des Kunden. Erst wenn solch ein Selbstverständnis im Unternehmen „atmet“, ist die Wertestufe Leistung stabilisiert.
Art der Reaktion bei kritischen Ereignissen und in Krisensituationen
Krisensituationen sind immer Stresssituationen, in denen die Selbststeuerung eines Systems versagt und die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass auf alte Muster zurückgegriffen wird. Krisensituationen sind demnach immer Nagelproben, ob die gewollten Werte verankert sind. Greift eine Führungskraft in Krisensituationen auf Macht-Strategien zurück, anstatt auf Problemlösungsprozesse zu vertrauen, ist dies ein deutliches Zeichen für das Unternehmen, dass die angestrebte Wertestufe Ordnung nicht verankert ist. Soll die Unternehmensentwicklung auf der Wertestufe Leistung stabilisiert werden, werden aber in Krisensituationen wieder ohne Ende ordnungspolitische Bedenken in endlosen Besprechungen angeführt, ohne zu einer gemeinsam getragenen im Sinne des Kunden getroffenen Entscheidung zu kommen, dann „atmet“ dieses Unternehmen noch ordnungspolitisch und wenig leistungsorientiert. Bei einem Rückfall gilt es allerdings auch zu bedenken, dass es kaum eine Sucht-Entwöhnung gibt ohne Rückfall in Krisensituationen. Das Loslassen von alten Mustern hat viel mit Sucht-Entwöhnung zu tun – nicht mit der Sucht nach Drogen, aber mit der Sucht nach vormals bewährten Lösungsstrategien.
Gerade in Krisensituationen gilt es demnach achtsam zu sein. Achtsamkeit ist hier die Heuristik der Wahl. Der erfolgreiche Geschäftsführer agiert gerade in Krisensituationen höchst bewusst und stellt sich die Frage, ob die gewählte Lösungsstrategie dem zu stabilisierten Unternehmen entspricht.
Zusammenhang von Wertestufe und Lösungsstrategie
David J. Snowden und Mary E. Boone (2007) diskutieren in diesem Zusammenhang das Cynefin-Modell. Grundaussage des Ansatzes ist es, dass erst wenn der Komplexitätsgrad eines kritischen Ereignisses verstanden ist, ist es möglich, eine adäquate Lösungsstrategie auszuwählen. Zur einfacheren Einschätzung des Komplexitätsgrades unterscheidet das Cynefin-Modell vier Kategorien.
Cynefin-Modell nach David J. Snowden & Mary E. Boone (2007)
Das Cynefin Modell definiert fünf Komplexitätsebenen. Die ersten vier Ebenen sind:
- Einfache Rahmenbedingungen, in denen das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung für alle auf der Hand liegt. Die Lösungsstrategie der Wahl ist: Problem erkennen > Problem kategorisieren > bewährte Lösung „abfahren“. In diese Kategorie fallen Probleme, in denen bei Prozessabweichung die Gegenmaßnahmen auf der Hand liegen. Der Manager sollte „best practice“ einfordern und die Lösungsfindung und –anwendung dem Mitarbeiter überlassen.
- Schwierige Rahmenbedingungen, in denen das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung nicht auf der Hand liegt, sondern eine Analyse und Expertenwissen erfordert. Die Lösungsstrategie der Wahl ist: Erkennen des Problems > Analyse der Reaktionsmöglichkeiten > Umsetzen der Experten-Empfehlung.
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In diese Kategorie fallen Probleme für deren Lösung eine hohes Maß an Fachknowhow notwendig ist wie z.B. Produktivitätsabfall bei einer Maschine. Der Manager sollte nach „good practice“ streben und Expertenrunden einberufen. - Komplexe Rahmenbedingungen, in denen das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung nur im Rückblick empfunden werden kann, aber nicht im Voraus. Die Lösungsstrategie der Wahl ist: Suchbewegung aufsetzen > Emergierende Lösungen wertschätzen > Ausgewählte Lösung umsetzen. Der Manager muss weg von einem „Command und Control-Styl“-Management hin zu Kontext-Management (siehe nächste Tabelle). Er steuert den Kontext nicht die Inhalte.
- Chaotische Rahmenbedingungen, in denen es kein Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung gibt. Die Lösungsstrategie der Wahl ist: Agieren > Strukturieren > Managen. In diese Kategorie fallen unvorhergesehene, äußerst zeitkritische Krisensituationen wie plötzliche Angriffe oder schwere Unfälle. Der Manager muss sofort agieren und versuchen, das Problem in eine der anderen Kategorien zu transferieren, um wieder managen zu können. Neben der Notwendigkeit sofort zu reagieren sind die Rahmenbedingungen ideal, um grundsätzliche Veränderungen im Unternehmen anzustreben. Das Momentum des Chaos sollte genutzt werden, um wirklich Neues auszuprobieren.
David J. Snowden und Mary E. Boone beschreiben noch eine weitere Kategorie, die Kategorie Unklarheit. Diese Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass es äußerst schwer fällt, die Rahmenbedingungen des Problems einer der zuvor definierten vier Kategorien zuzuordnen. Die Lösungsstrategie der Wahl ist, die Situation in einzelne Teilbereiche aufzuteilen und diese dann den vorgeschlagenen vier Kategorien zuzuordnen.
Der überwiegende Teil an Führungskräften unterstellt implizit, dass es bei einem kritischen Ereignis eine richtige Lösung gibt. Diese Manager sind bei einfachen und komplizierten Problemstellungen erfolgreich. Sind die Umgebungsfaktoren allerdings komplex bis chaotisch, verfügen diese Manager über keine geeigneten Lösungsstrategien geschweige denn Erfahrungswissen, um solche Rahmenbedingungen souverän zu managen. Eine umfassende Unternehmensentwicklung ist aber eine komplexe bis chaotische Aufgabe. Bei unprofessionellem Krisenmanagement wird die fehlende „Unternehmensentwickler-Kompetenz“ auf Managementebene zu massiven Krisen führen und damit zu der Gefahr, ungeeignete Lösungsmuster anzuwenden – das Ergebnis: Ein Rückfall des Unternehmens auf die alte Wertestufe, d.h. letztendlich ein Verharren des Unternehmens auf jener Komplexitäts-/ Wertestufe, auf welcher der Geschäftsführer schon immer fähig war zu managen.
Wirksame Manager hingegen arbeiten hart an sich selbst, damit sie fähig werden, ihr eigenes Handeln den unterschiedlichen kritischen Ereignissen und Krisensituationen anzupassen. Sie halten inne und wählen gerade in der ersten Phase der scheinbaren Stabilität mit Achtsamkeit ihr Lösungshandeln.
Entscheidungen in unterschiedlichsten Kontexten: Ein Leitfaden für Manager (D.J. Snowden & M.E. Boone, 2007)
Gestaltung des Beförderungs-, Anreiz- und Statussystems
Die Entwicklung der Persönlichkeit muss der Rahmen für Beförderung, Definition von entsprechenden Anreizen und die Ausstattung mit Statussymbolen beim Management sein, soll eine neue Wertestufe nachhaltig stabilisiert werden. Basis einer wirksamen Persönlichkeitsentwicklung ist immer eine ehrliche Feedback-Kultur.
Eine Führungspersönlichkeit steuert, anstatt zu rudern und erzielt Erfolg durch andere anstatt durch eigenes unreflektiertes, operatives Handeln. Sie zeigt eine hohe Eigenreflexion hinsichtlich der Selbst- und Fremdsteuerungskompetenz und ist gewillt, sich in diesen Lernfeldern weiterzuentwickeln. Regelmäßige Mitarbeiterbefragungen führen zur Auseinandersetzung mit der Frage, wie die Mitarbeitenden die Führung einschätzen und fördert die Kommunikation zwischen den hierarchischen Ebenen, denn: Führung sollte als Dienstleistung am Mitarbeiter verstanden werden, welche einen Rahmen zu schaffen hat, damit der tatsächlich Wertschöpfende möglichst seine Talente im Sinne des Kunden einsetzen kann.
Wirksame, der angestrebten Wertestufe entsprechende (!), Führungskräftefortbildung muss mit dem Tenor durchgeführt werden, dass Methoden „nur“ Methoden sind, welche ihre Wirkung erst entfalten, wenn die Methoden auf der Basis der richtigen Einstellung angewendet werden. Kein Wissen über eine Methode macht eine wirksame Führungspersönlichkeit aus. Nur das beständige, selbstkritische Aneignen von Erfahrungswissen wird eine wirksame Persönlichkeit ausbilden. Solche Führungspersönlichkeiten sind dann Modell für konsequenten Lern- und Weiterentwicklungswillen. Die Personalentwicklung muss damit an der Unternehmensstrategie ausgerichtet sein, durchgängige und abgestimmt PE-Methoden bereitstellen und selbst als Personalentwicklung gewillt sein, ein Modell für Kundenorientierung darzustellen.
Reifegrad Personalmanagement: HCM Consult: Claudia Maurer
Die Personalabteilung gestaltet das Beförderungs-, Anreiz- und Statussystem mit und muss deshalb Treiber und kritischer Geschäftspartner bei der Wertestabilisierung sein.
Nachwuchsregelung auf der Top-Managementebene und Unternehmensentwicklung als Langfristmaßnahme
Das Weitertragen der Veränderung durch die folgende Führungsgeneration muss gesichert sein. Es gilt Vorkehrungen zu treffen, damit die folgende Generation von Top-Managern die neuen Vorgehensweisen und Einstellungen auch wirklich vorlebt und verkörpert. Eine einzige schlechte Nachfolgeregelung an der Spitze eines Unternehmens kann gefährden, was in zehn Jahren harter Arbeit erreicht wurde. Unzulängliche Nachfolger können ins Amt kommen, wenn der Aufsichtsrat nicht voll in die Bestrebungen zur Erneuerung einbezogen war. Wenn der scheidende Chef ein Vorkämpfer der Veränderung war, sein Nachfolger diese zwar nicht gerade ablehnt, aber auch nicht besonders befürwortet, kann dies verheerende Folgen für die Nachhaltigkeit haben. Der scheidende Geschäftsführer mag glauben, die erfolgte Entwicklung würden Nachfolger nicht mehr rückgängig machen können: Dies ist jedoch ein Irrtum!!! Ein neuer Geschäftsführer, welcher auf einer niederen Wertestufe agiert, wird dazu führen, dass schon nach zwei Jahren in dem Unternehmen die Zeichen verschwinden, an denen der Erneuerungsprozess manifest geworden war.
Der Geist, welcher ein erfolgreiches Veränderungsprojekt beseelt hat, wird nie einfach in der Zukunft fortbestehen. Ein Unternehmen steht immer in einer Beziehung zu seiner Umwelt – und: Beziehungen müssen aktiv gestaltet und am Leben gehalten werden. Beziehungen leben nicht von sich selbst heraus, dann wären sie Muster und nicht mehr lebendig. Es gilt, immer selbstkritisch zu bleiben, selbst wenn ein Unternehmen die Veränderung atmet. Es bleibt immer wichtig, sich neuen Ansätzen zu öffnen, Veränderungen in der Umwelt zu antizipieren und sich entsprechend anzupassen.
Das ist schwierig, denn das menschliche Denken basiert auf Gewohnheitsmustern. Und hier gilt es immer im Blick zu haben, dass allzu oft die Erfolge von heute, die Probleme von morgen sind – warum? Weil Erfolge selbstgefällig machen, Verlernen erschweren und weil Erfolg Sicherheit vermittelt, die es nicht gibt.
Um sich von Denkgewohnheiten zu distanzieren, braucht es Zeit und Energie. Was aber ist der Nutzen einer solchen grundlegenden Haltung, die nicht nur emotionale Kosten verursacht? Der Nutzen ist der Auftrag, den jeder Top-Manager übernommen hat, als er seinen Vertrag unterschrieben hat und wofür er monatlich sein Gehalt bekommt: Sein Unternehmen lebensfähig zu erhalten. Dies unterstreicht eine Studie, bei der erfolgreiche mit weniger erfolgreichen Firmen über einen Zeitraum von elf Jahren verglichen wurde.
Lern- und Anpassungsfähigkeit von Unternehmen („adaptive Kultur“) korreliert positiv mit Erfolgskennzahlen und –faktoren. Lern- und Anpassungsfähigkeit sichert langfristig einen überdurchschnittlichen Erfolg. Kotter und Heskett (1992) haben zudem gezeigt, dass in einem Unternehmen der Wandel von einer unadaptiven hin zu einer adaptiven Kultur ausschließlich von Personen an der Unternehmensspitze initiiert und stabilisiert werden kann.
Nachhaltig erfolgreiche Top-Manager fragen sich deshalb immer und immer wieder:
- Wird in Diskussionen deutlich, dass es darum geht, den Ressourcenverbrauch für die Erstellung des angestrebten Mehrwertes möglichst gering zu halten?
- Sind das „Leading“ und das „Management“ im Sinne von Kotter (1996) ausgewogen und wirksam?
- Ist den Mitarbeitern die Verbindung zwischen dem eigenen Verhalten und dem Unternehmenserfolg klar?
- Sind Steuerungs- und Reflexionssysteme etabliert, welche das Unternehmen kontinuierlich mit Entwicklungsherausforderungen versorgen?
- Besteht eine Kultur des Lernens, ein Anspruch, das Beste für alle Interessengruppen (inklusive der natürlichen Umwelt) zu erreichen?
- Erfüllt die Organisation tatsächlich noch ihren ursprünglichen Zweck, bzw. wird das Unternehmen seinem Existenzgrund gerecht?
- Ist der Verbrauch von natürlichen und menschlichen Ressourcen so organisiert, dass dieses Gut in eine maximale Wertschöpfung für den Kunden transferiert wird?
- Trägt das Unternehmen dazu bei, dass auch künftige Generationen ein sinnerfülltes Leben auf diesem Planten führen können?
Die letzte Schlüsselfrage zielt auf die höchste Wertestufe (Nachhaltigkeit) ab, womit auch gleichzeitig die höchste Komplexitätsstufe erreicht wäre. Auf dieser Stufe wäre es dem Unternehmer gelungen, sein Unternehmen so zu organisieren, dass es komplett in das ökologische System integriert wäre, d.h. keinerlei Abfall/ Gewalt produzieren würde, gegebene Ressourcen potenzialorientiert nutzen würde und dabei, durch das Verbinden der unterschiedlichsten Kompetenzen, ein qualitativ höherwertiges System (Produkt) produzieren würde, welches das Leben auf diesem Planeten lebenswerter machen würde. Dem Unternehmer wäre es gelungen, einen Rahmen für unterschiedlichste Talente zu schaffen. Dieser Rahmen würde es den Talenten erlauben, sich im Sinne des gemeinsamen Wachstums zu verbinden, um selbststeuernd Mehrwert für das Gemeinwohl zu erzeugen. Dabei wäre das Unternehmen dem „cradle to cradle“-Ansatz (M. Braungart & W. McDonough, 2009) verpflichtet.
Bis dahin bedarf es in den Unternehmen noch etlicher nachhaltiger Unternehmensentwicklungen. Diese können vom Unternehmer aber nicht durch Zeitpläne beschleunigt werden, da die Wirksamkeit einer Unternehmensentwicklung nicht in einem simplen oder komplizierten Kontext zu etablieren ist, sondern in einem komplexen und immer auch chaotischen. Die Unternehmensentwicklung kann – die Beachtung der Erfolgsfaktoren vorausgesetzt – nur über die ganz persönliche Reflexionstiefe des Unternehmers beschleunigt werden. Die Tiefe der Reflexion wird zum Emergieren von Lösungs-Mustern beitragen, da das Unternehmerhirn nun mal ein Teil des Lösungsfindungssystems, d.h. der Teamintelligenz ist.
Erfolgreiche Unternehmen sind angemessene Antworten auf sinnvolle Schlüsselfragen. Folgende Tabelle soll beim Finden von sinnvollen Schlüsselfragen helfen.
Sinnvolle Schlüsselfragen für die Unternehmensentwicklung in Bezug auf die Entwicklungsphase und die Wertestufe
* In Anlehnung an:
- Michael Braungart & William McDonough (2009) Die nächste industrielle Revolution. Die Cradle to Cradle-Community. Europäische Verlagsanstalt.
- Clare W. Graves (2005). The never ending quest. Eclet Publishing.
- John P. Kotter (1996) Leading Change. Harvard Business Press.
- John P. Kotter & James L. Heskett (1992) Corporate Culture and Performance. Free Press.
- Edgar H. Schein (2003) Prozessberatung für die Organisation der Zukunft. EHP.
- Edgar H. Schein (1985) Organizational Culture and Leadership. A Dynamic View, San Francisco etc. (Jossey-Bass).
- David J. Snowden & Mary E. Boone (2007) „A Leader’s Framework for Decision Making“. Harvard Business Review, November 2007, pp. 69–76.
- David J. Snowden erkärt das Cynefin-Modell: http://www.youtube.com/watch?v=5mqNcs8mp74
Anmerkungen
[**] Aufgrund der Lesbarkeit wurde durchgängig die männliche Form gewählt. Ich bitte es so zu verstehen, dass gleichermaßen das weibliche Geschlecht angesprochen wird.
Zum Download
Erfolgsfaktor 8: Verankerung des Neuen in der Unternehmenskultur (PDF | 377 KB)